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Säuberung der Städtischen Volksbücherei Pforzheim 1933
Von Stadtwiki
Bei der Säuberung der Städtischen Volksbücherei Pforzheim 1933 wurden aus Sicht des Nazi-Regimes „politisch-weltanschaulich untragbare oder literarisch minderwertige“ aus dem Bücherverzeichnis gestrichen. Es ist nicht bekannt, wann genau 1933 die Streichungen im „Bücherverzeichnis“ der Städtischen Volksbücherei Pforzheim durchgeführt wurden und wer sie veranlasst bzw. vorgenommen hat. Anzunehmen ist, dass diese Streichungen 1933 nur ein Anfang waren, denn insgesamt wurden mehr als 1000 Bücher als „politisch-weltanschaulich untragbar oder literarisch minderwertig“ aus der Städtischen Volksbücherei Pforzheim ausgesondert. Bei der Bücherverbrennung am 17. Juni 1933 auf dem Pforzheimer Marktplatz brannten auch Werke aus der Volksbücherei.
Liste
Folgende Titel sind in einer Liste, die aus dem Jahr 1929/1930 stammt, gestrichen:
- Barbusse, Henri, Das Feuer
- Barbusse, Henri, Klarheit
- Barbusse, Henri, Erhebung
- Barbusse, Henri, Kraft u.a. Erzählungen
- Baum, Vicky, Stud. Chem. Helene Willfüer
- Bebel, August, Aus meinem Leben
- Böckheler, N., Christaller, Theodor, Der erste deutsche Reichsschullehrer in Kamerun
- Broch, Hermann, Die Schlafwandler (3 Bd.)
- Brod, Max, Weiberwirtschaft, Der Bürger und die Frau, Das große Wagnis
- Bulcke, Karl, Die drei Trostburgs
- Busch, Wilhelm, alles außer Eduards Traum
- Busson, Paul, Aschermittwoch
- Byr, Robert, (Pseud. für Bayer, Robert von) Sternschnuppen
- Byr, Robert, Ein Reiterschwert
- Dill, Liesbet, Franziska
- Döblin, Alfred, alles außer Wallenstein
- Dorgelès, Roland, Die hölzernen Kreuze
- Dorgelès, Roland, Das Wirtshaus zur schönen Frau
- Dos Passos, John, Drei Soldaten
- Düringsfeld, Ida von, Das Buch denkwürdiger Frauen
- Ebert, Friedrich, Schriften, Aufzeichnungen, Reden
- Ginster (Pseud. für Siegfried Kracauer), Von ihm selbst geschrieben
- Glaeser, Ernst, Jahrgang 1902
- Glaeser, Ernst, Frieden
- Göhre, Paul, Drei Monate Fabrikarbeiter und Handwerksbursche
- Gorki, Maxim, Der Spitzel
- Gorki, Maxim, Eine Beichte
- Hartleben, Otto Erich, Vom gastfreien Pastor
- Hasenclever, Walter, Die Menschen
- Hirschfeld, Georg, Das Kreuz der Wahrheit
- Hirschfeld, Georg, Der Wirt von Veladuz
- Hirschfeld, Georg, Die Hände der Thea Sigrüner
- Hoffmann, Franz, Erzählungen für die Jugend
- Holitscher, Artur, Bruder Wurm
- Holitscher, Artur, Geschichten aus zwei Welten
- Holitscher, Artur, Lebensgeschichte eines Rebellen
- Klabund (i.e. Henschke, Alfred), Borgia, Roman einer Familie
- Klabund, Der Kreidekreis
- Klabund, Erzählungen
- Klinckowström, Agnes von, Zweierlei Ehre
- Lassalle, Ferdinand, Biografie von Oncken, Hermann
- Lassalle, Ferdinand, Biografie von Schirokauer, Arno
- Lissagaray, Prosper, Geschichte der Kommune von 1871
- London, Jack, Die eiserne Ferse
- London, Jack, Die Zwangsjacke
- Ludwig, Emil, Bismarck, Geschichte eines Kämpfers
- Ludwig, Emil, Goethe, Geschichte eines Menschen
- Ludwig, Emil, Kunst und Schicksal, Vier Bildnisse (Rembrandt, Beethoven, Weber, Balzac)
- Mann, Heinrich, alles (8 Titel)
- Marcu, Valeriu, Lenin, 30 Jahre Russland
- Marx, Karl, Das Kapital
- Marx, Karl, Versuch einer Würdigung von Wilbrandt, Dr. R.
- Raynal, Paul, Das Grab des unbekannten Soldaten
- Reck-Malleczewen, Friedrich, Sif. Das Weib, das den Mord beging
- Remarque, Erich M., Im Westen nichts Neues
- Remmele, Adam, Staatsumwälzung und Neuaufbau in Baden
- Renn, Ludwig, Krieg, Kriegserlebnisse eines Frontsoldaten
- Scheidemann, Philipp, Der Zusammenbruch
- Scheidemann, Philipp, Memoiren eines Sozialdemokraten
- Schoenaich, Freiherr von, Mein Damaskus
- Sinclair, Upton, alles (8 Titel)
- Suttner, Berta von, Die Waffen nieder
- Thiers, A., Geschichte der franz. Revolution
- Thiers, A., Geschichte des Konsulats und Kaiserreichs
- Wassermann, Jakob, alles außer Kaspar Hauser, Das Gänsemännchen und Die Juden von Zirndorf (11 Titel)
- Wedekind, Frank, Frühlings Erwachen
- Zweig, Arnold, Frühe Fährten
- Zweig, Arnold, Die Novellen um Claudia
- Zweig, Arnold, Der Streit um den Sergeanten Grischa
- Zweig, Arnold, Pont und Anna
- Zweig, Stefan, Die Verwirrung der Gefühle
- Zweig, Stefan, Amok
Erläuterungen zu den Autoren
Autoren wie Bebel, Bulcke, Ebert, Göhre, Gorki, Lassalle, Lissagaray, Marx, Remmele und Scheidemann bzw. Werke über diese wurden unter „Marxisten“ subsumiert und ihre Bücher zum Teil am 17. Juni 1933 auf dem Marktplatz mit dem Feuerspruch „gegen Klassenkampf und Materialismus“ verbrannt.
Autoren wie Baum, Brod, Döblin, Hirschfeld, Holitscher, Kracauer, Ludwig, Marcu, Schirokauer, Arnold und Stefan Zweig sowie Wassermann fielen der Zensur unter dem Stichwort „volksfremder Journalismus demokratisch-jüdischer Prägung“ zum Opfer.
Zu den pazifistischen bzw. Anti-Kriegs-Autoren gehörten Barbusse, Dorgelès und Raynal aus französischer Sicht, Dos Passos aus amerikanischer, Gläser, Remarque, Renn, Schoenaich, Suttner sowie Arnold und Stefan Zweig aus deutscher bzw. österreichischer Sicht.
Jack London (USA) war vor allem in „Die eiserne Ferse“ unerbittlicher Kritiker des Kapitalismus; er propagierte schon 1905 eine vermeintliche sozialistische Alternative gegen die Herrschaft der Oligarchen und Trusts; Sinclair war Mitglied der Sozialistischen Partei Amerikas.
Auffällig ist die Streichung von Autoren, die in keiner anderen erhaltenen Liste der verbotenen Bücher vorkommen, wie Bulcke, Busch, Busson, Byr, Dill, Dorgelès, Düringsfeld, Hirschfeld, Klinckowström, Raynal, Reck- Malleczewen und Thiers.
Gründe, Anlässe oder Vorwände für die Streichungen sind nur zu vermuten:Mehr auf der Diskussionsseite
- für Roland Dorgelès und Paul Raynal bzw. Georg Hirschfeld sind mögliche Vorwände /Gründe oben angegeben;
- bei Karl Bulcke könnte es die Tatsache gewesen sein, dass er die Autorengewerkschaft „Schutzverband deutscher Schriftsteller“ mitbegründet hat;
- „Max und Moritz“ von Wilhelm Busch waren 1929 in Österreich als verdammenswerte Vorbilder mit Verkaufsverbot belegt;
- Paul Busson könnte wegen seiner Mitarbeit bei der satirischen Zeitschrift „Simplicissimus“ ins Schussfeld geraten sein;
- Liesbet Dill stellte in ihren Romanen selbstbewusste Frauen auf dem Weg zur Emanzipation vor, die Berufstätigkeit anstreben – ein von den Nazis nicht gewünschtes Frauenbild;
- Ida von Düringsfeld schrieb u.a. eine Hymne an George Sand, eine frühe Sozialkritikerin und Verfechterin der Frauenemanzipation;
- Friedrich Reck-Malleczewen gehörte zu den konservativen Kritikern der Nazi-Bewegung und verfasste 1937 einen Schlüsselroman gegen die Diktatur, er „starb“ im Januar 1945 im KZ Dachau;
- Adolphe Thiers war Chronist der französischen Revolution und damit ein Verfechter der universellen Menschenrechte;
- für N. Böckheler, Robert Byr und Agnes von Klinckowström fehlen jegliche Hinweise, aus welchen Gründen, unter welchem Vorwand oder aus welchen Vorurteilen heraus sie aus dem Bestand der Bücherei gestrichen wurden.
Literatur
- Dorothea Brändle: 100 Jahre Stadtbücherei Pforzheim 1893–1993, Pforzheim 1993